Filmkritik: Dame, König, As, Spion

 

© Studio Canal

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Zur Zeit des Kalten Krieges, 1973. Zwei Männer sitzen sich in einem Budapester Café gegenüber. Eine scheinbar ganz normale Alltags-Situation. Doch der Kellner, der gerade den Kaffee bringt, schwitzt erstaunlich stark und wirkt ziemlich nervös. Plötzlich eskaliert die Szene in einer Schießerei und einer der Männer sinkt schwer verletzt zu Boden.
Das eben geschilderte Setting ist die Basis für diesen britischen Polit-Thriller des schwedischen Regisseurs und Fernseh-Veterans Tomas Alfredson aus dem Filmjahr 2011. Das Ganze ist eine Adaption des gleichnamigen Buches des Autors John Le Carré (= David John Moore Cornwell). Es gab vorher schon eine BBC-TV-Serie 1979 sowie eine Verfilmung 1982 mit Alec Guinness in der Hauptrolle.
Autor Le Carré, früher selbst MI6-Agent, lässt seine Hauptfigur "George Smiley" in insgesamt 4 Romanen auflaufen und greift seine Erfahrungen im Geheimdienst auch auf.
 
Nun, worum geht es hier eigentlich konkret? 
Im britischen Auslandsgeheimdienst MI6, intern nur "Circus" genannt, wird ein Maulwurf in der Führungsebene vermutet. In diesem Fall führt diese Person geheime MI6- und CIA-Informationen an den sowjetischen KGB ab. Der Leiter des Circus, der nur mit dem Decknamen "Control" (John Hurt) angesprochen wird, stellt Ermittlungen an und versucht nun mithilfe des Agenten Jim Prideaux (Marc Strong) in Budapest einen ungarischen General zum Überlaufen zu überreden. Dort kommt es nun zu der weiter oben beschriebenen Szene und es ist Prideaux, der niedergeschossen wird. 
Die ganze Operation hatte sich als Falle herausgestellt und man entlässt daraufhin Control und seinen engsten Mitarbeiter George Smiley (Gary Oldman) in den Ruhestand als Konsequenz für diesen Fehlschlag. Control stirbt später nach längerer Krankheit.
Etwas Zeit vergeht und es meldet sich der Auslandsagent Ricki Tarr (Tom Hardy) bei Staatssekretär Lacon (Simon McBurney) und berichtet ebenfalls von einem Verräter innerhalb des Circus. Bei ihm gab es Unregelmäßigkeiten bei seinem Einsatz in Istanbul. Daraufhin wird Smiley wieder reaktiviert, so dass er die Ermittlungen in dieser Sache aufnehmen kann ...
 
Der Agentenstreifen lässt sich insgesamt viel Zeit, um seine Geschichte aufzurollen. Es wirkt zunächst alles ruhig und sehr gemächlich, die Bilder sind eher blass mit wenig Farbe versehen. Es dominieren schmutzige Brauntöne und man merkt als Zuschauer sehr bald, dass hier keine James Bond-Lebemann-Optik aufgefahren wird. Hier herrscht absoluter Realismus vor, jedoch dürfen klassische Agentensprüche wie "Dieses Treffen findet nicht statt! Ist das klar?" auch hier nicht fehlen.
Dazu passt auch, dass es anfänglich zirka 17 Minuten dauert bis Hauptdarsteller Gary Oldman überhaupt etwas sagt. In stoischer Ruhe geht er Schritt für Schritt seiner Detektivarbeit nach und erhält dabei nur Hilfe von den noch aktiven Agenten Peter Guillam (Benedict Cumberbatch), Ricki Tarr sowie dem pensionierten Polizeibeamten Mendel (Roger Lloyd-Pack). George Smiley wirkt fast isoliert und desillusioniert innerhalb einer britischen Bürokratie und riskiert dabei sein Leben und das der anderen Mitstreiter. Doch gelassen wartet er auf seine Chance wie etwa ein Jäger auf seine Beute wartet.
 
Das 70er Jahre Zeitkolorit wurde gut eingefangen in Bezug auf Frisuren, Kleidung, Möblierung oder Autos. Es wird noch viel geraucht und Whisky getrunken. Es gibt noch Telefone mit Wählscheibe und ein sogenanntes chiffrierbares Telex-System (Fernschreiber), eine Art Vorläufer von Faxgeräten in Schreibmaschinenoptik. Abhörgeräte beschränken sich weitestgehend auf große Recorder mit Kopfhörer und Magnetbandspulen. Nostalgie-Look aus dem 20. Jahrhundert eben!
 
Das niederländische Kamera-As Hoyte van Hoytema liefert hier erstklassige Einstellungen ab. Gleich die erste Nahaufnahme, das Klopfen an eine Tür, vermittelt schon so ein bisschen Agenten-Atmosphäre. In einer späteren Szene spricht George Smiley direkt in die Kamera wie bei einer Gegenüberstellung, die der Hauptakteur seinem Gast Peter Guillam vorspielt. Smiley schildert ihm dadurch, wie er vor einigen Jahren versucht hatte, seinen sowjetischen KGB-Gegenspieler Karla zu überreden, in den Westen zu flüchten.

Musikalisch ist vor allem die Schlussmelodie auffallend. Dort trällert Julio Iglesias seine Version des "Chanson La Mer". Die Macher waren der Ansicht, dass dies genau die Melodie wäre, die sich George Smiley allein anhören würde. Ansonsten werden meist ruhige und traurig klingende Melodien eingespielt.
 
Trotz der gemächlichen Erzählweise ohne großartige Stunts mit Verfolgungsjagden ist der Film spannend, da hier im Grunde klassische Detektivarbeit zum Tragen kommt. Stück für Stück wird aufgedeckt, was aufzudecken war und man erfährt als Zuschauer, wie üblich, erst zum Schluss, wer der Verräter ist und was seine Motive waren. 
Das Spionage-Spiel eröffnet schon Circus-Leiter Control, da er 5 Leute aus seinem engeren Umfeld vermutet, die als Maulwurf infrage kommen könnten. Er benutzt dazu Schachfiguren, die er mit Bildern der Verdächtigen versieht, darunter ist auch Smiley. Dieser wiederum erfährt davon, als er und Peter Guillam Controls Wohnung nach dessen Tod durchforsten.
 
Im Original heißt der Roman "Tinker, Tailor, Soldier, Spy", ein abgewandelter Kinder-Abzählreim, wobei in der Übersetzung aus dem Englischen ins Deutsche dafür Kartenbezeichnungen benutzt wurden. Klang wohl besser und nachvollziehbarer! Jeder der Verdächtigen bekam von Control eine dieser Bezeichnungen zugewiesen und wie in einem Abzählreim bleibt zum Schluss einer übrig.
 
Man kann dem Film (und vermutlich auch der Romanvorlage, die ich nicht kenne) eigentlich nur vorwerfen, dass der Rezipient hier mit sehr vielen Charakteren und vielen Handlungssträngen zurechtkommen muss. Man weiß manchmal nicht, wer wer ist und welches Süppchen kocht. Außerdem wechseln sich sehr schnell gegenwärtige Situationen mit Rückblenden ab, meist sind es die von Smiley, die an bessere Zeiten innerhalb des MI6 erinnern und im Speziellen landet man immer wieder auf einer MI6-Weihnachtsparty, auf der sogar die Sowjet-Nationalhymne gesungen wird. Dieses Prinzip durchzieht die kompletten 2 Stunden des Spionage-Thrillers.
 
Gary Oldman und Komponist Alberto Iglesias Fernández-Berridi wurden bei den Oscars 2012 jeweils mit einer Nominierung bedacht, desweiteren bekam der Agenten-Thriller noch weitere Nominierungen bei verschieden Filmpreisverleihungen und eine Auszeichnung beim "Online Film Critics Society Award" für das beste adaptierte Drehbuch.
 

Ein spannender Agentenfilm mit einem sehr guten Schauspielerensemble. Die Vielzahl der Charaktere und Handlungsstränge könnte manche Zuschauer überfordern. Meine Wertung hier: "Sehr gut"! 8 von 10 möglichen Sternen: ⭐⭐⭐⭐⭐⭐⭐⭐✰✰


Daten zum Film:

Spielfilm, GB/D/FRA 2011, ca. 116 Min., FSK: 12. Darsteller: Toby Jones, Kathy Burke, Stephen Graham u.a. Musik: Alberto Iglesias Fernández-Berridi. Drehbuch: Bridget O’Connor, Peter Straughan. Produktion: Kinowelt Filmproduktion, Studio Canal, Karla Films, Canal+. Regie: Tomas Alfredson.

 

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